Felizitas Conrath im Interview zu Hochsensibilität

Felizitas Conrath zu Hochsensibilität und hochsensiblen Menschen
Diplom-Psychologin Felizitas Conrath beantwortet Fragen zur Hochsensibilität (HSP)

Nach Veröffentlichung meines neuen Test zur Hochsensibilität kam ich in Kontakt mit der Diplom-Psychologin Felizitas Conrath, die sich seit Jahren intensiv mit Hochsensibilität beschäftigt, einen eigenen Arbeitskreis hierzu leitet und das Thema Hochsensibilität auch in ihr individuelles Coaching und in ihre Unternehmensberatung einfließen lässt.

In diesem Interview beantwortet Felizitas Conrath (Kontaktdaten am Ende des Artikels) eine Vielzahl von Fragen zu Hochsensibilität, den Erfahrungen von Hochsensiblen im Privat-und Berufsleben, ihrem eigenen Werdegang und ihren psychologischen Angeboten für hochsensible Menschen.

Sie sind Diplom-Psychologin und beschäftigen sich mit dem Thema Hochsensibilität. Wie kam es zu diesem Interesse?

Als ich in den 1980er Jahre Psychologie studierte, gab es den Begriff „Hochsensibilität“ noch nicht in der Form wie er heute als Wissensgrundlage nach der Definition von Elaine Aron genutzt wird. Bei den Vorläufer-Konzepten wirkte alles noch sehr diffus und teilweise widersprüchlich (Konzepte wie Introversion und Hochbegabung wurden mit Hochsensibilität in einen Topf geworfen). Das erste Mal weckte das Konzept ernsthaft mein Interesse, als ein Familienmitglied der Generation nach mir bei einem Familientreffen berichtete, wie ihre Therapeutin ihr gesagt habe, sie sei wohl „hochsensibel“. Bei ihrer detailreichen Beschreibung konnte ich gleich mehrere Familienmitglieder wieder erkennen, mich eingeschlossen – nach der Auffassung von Elaine Aron ist Hochsensibilität erblich. Für mich erklärte sich im Nachhinein auch Vieles in meinem Leben, wo ich meist instinktiv für mich gesorgt hatte, auch wenn bestimmte Entscheidungen offenbar die meisten nicht nachvollziehen konnten (z.B. als Jugendliche Partys früher verlassen, oder später meine Entscheidung zu Selbständigkeit aus einer erfolgreichen Festanstellung heraus).

Sie leiten einen Gesprächskreis zur Hochsensibilität? Was geschieht in so einem Gesprächskreis?

Ich leite einen Gesprächskreis in Düsseldorf, der aus einer Initiative des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibilität e.V. hervorgegangen ist. Ich suchte diesen Gesprächskreis zunächst selbst als Teilnehmerin auf, nachdem ich im Internet zu Hochsensibilität recherchiert hatte. Zu Anfang waren wir nur eine Hand voll Teilnehmern, dann aber – vielleicht etwa um 2010 – gewann das Thema Hochsensibilität langsam an Aufmerksamkeit in den Medien, zunächst eher in kleineren alternativen Zeitschriften, einige Jahre später kamen dann erste Beiträge im Fernsehen. In der Folge kamen immer mehr Interessenten auf uns zu und wir entschieden, die Abende zu moderieren. Zunächst hatten wir einen Freitag im Monat, dann führten wir einen zweiten Abend im Monat ein. Jetzt gibt es am ersten Freitag im Monat einen Einführungsabend für die jeweils neu hinzukommenden Interessenten und an jedem dritten Freitag im Monat gibt es einen Vertiefungsabend, bei dem spezifische für Hochsensible gerade anstehende Themen und der Umgang damit untereinander ausgetauscht wird. Dann gibt es an den anderen Freitagabenden inzwischen weitere Spezialabende, einmal ein Treffen nur für hochsensible Männer. Außerdem gibt es regelmäßig einen Meditations- und Achtsamkeitsabend, bei dem es darum geht, als oftmals im Alltag von Reizen überflutete hochsensible Menschen regelmäßig in die Balance zurück zu finden. Ich leite inzwischen im Wesentlichen den Einführungsabend und den Achtsamkeitsabend. Wir konnten zur Erweiterung unseres Angebots für so viele Interessenten und den Wunsch, bestimmte Themen mit einigen wenigen Teilnehmern zu vertiefen auch noch weitere Moderatoren aus unseren Reihen gewinnen.

Gibt es viele solcher Gesprächskreise? Wie können Interessierte mit einem Gesprächskreis in Kontakt kommen?

Es gibt inzwischen fast in jeder größeren Stadt mindestens einmal im Monat einen Gesprächskreis. Alle sind etwas anderes organisiert. Eine umfassende Liste findet sich auf der Seite des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibilität e.V.

Was ist für Sie Hochsensibilität und wie kann sie festgestellt werden? Warum ist es überhaupt für einen Menschen wichtig, zu wissen, ob er oder sie hochsensibel ist oder nicht?

Bei der Definition von Hochsensibilität beziehe ich mich auf Elaine Aron, da sie die bis jetzt umfangreichste Forschung zum Thema Hochsensibilität betrieben hat. Daraus abgeleitet ist für mich Hochsensibilität im Wesentlichen durch 3 Kriterien und ein typisches Reaktionsspektrum darauf ausgemacht:

Als erstes ist die stärkere Intensität der Wahrnehmung von Reizen von Außen und Innen zu nennen, das Kriterium bezieht sich auf die sensorische Wahrnehmung. D.h. Hochsensible haben sozusagen mit ihren Sinnen feiner eingestellte Messinstrumente, sie nehmen mehr und intensiver wahr. Ein Beispiel: ein Geräusch, das ein Normalsensibler als 60 Dezibel wahrnimmt, nimmt ein Hochsensibler vielleicht eher vergleichbar 100-120 Dezibel wahr. Hinzu kommt, dass Hochsensible einen vergleichsweise schwächeren Reizfilter bei der Aufnahme von Reizen haben, sodass z.B. in einem Restaurant nicht nur das Gespräch vom eigenen Tisch sondern gleichzeitig die Gespräche von den umliegenden Tischen wahrgenommen werden. Dies führt dazu, dass die Konzentration auf das Gegenüber im Saal sehr anstrengend werden kann. Ich habe beobachtet, dass Hochsensible bisweilen in Räumen mit Gruppen sehr laut sprechen, weil sie unbewusst davon auszugehen, der andere könne sie sonst aus dem Gesamtgeräuschgel nicht heraushören. Was ich hier am Beispiel des Gehörs aufgezeigt habe, könnte man auch auf die anderen Sinne übertragen. Bei unterschiedlichen Hochsensiblen sind unterschiedliche Sinne hochsensibel, bei den meisten mehrere.

Ein weiteres Kriterium für Hochsensibilität ist das Erspüren von Befindlichkeit und Stimmungen anderer Menschen, so etwas wie emotionale Wahrnehmung. Hierzu passt m.E. auch das Konzept der „emotionalen Intelligenz“. Manche Menschen, die dieses zweite Kriterium stark ausgeprägt haben, berichten, dass sie sich nur schwer oder gar nicht von Stimmungen ihres Gegenübers abgrenzen können. D.h. z.B. wenn neben einem Hochsensiblen im Zug ein wütender Mensch sitzt, kann es sein, dass ein Hochsensibler sich plötzlich ärgerlich fühlt, auch wenn der Wütende gar nichts gesagt hat, der Hochsensible spürt die Qualität seiner Präsenz. Außerdem haben emotional intensive Ereignisse oder auch Filme, Musik oder Kunst in der Regel bei Hochsensiblen einen längeren Nachhall als bei Normalsensiblen. Im Idealfall ist dieses zweite Kriterium die Grundlage für eine überdurchschnittliche Empathie Hochsensibler. Leider kann es schon einmal passieren, dass ein Hochsensibler so von der Stimmung eines anderen oder von sensorischen Reizen seines Umfeldes überflutet wird, dass er oder sie sich nicht sanft abgrenzt, sondern aus Selbstschutz heraus unfreundlich reagiert. Hier kommt es bisweilen zu Missverständnissen zwischen Hochsensiblen und Normalsensiblen, sodass Hochsensible auch angefeindet werden. Einen zusätzlichen Grund sehe ich darin, dass es Neid gibt, gegenüber dem „Empathieanspruch“ Hochsensibler und dann werden „Gegenbeweise“ gesucht, z.B. wird dann das nichtsensible instinktive Verhalten eines Hochsensiblen, der sich gerade „bedroht“ fühlt, als das „eigentliche Verhalten“ eines „gar nicht so sensiblen Menschen“ gesehen.

Der dritte Bereich, in dem Hochsensible sich unterscheiden, möchte ich einmal als differenziertes komplexes Denken bezeichnen: Unabhängig vom Intelligenzgrad haben Hochsensible die Tendenz, eher differenziert zu denken als in harte oder prinzipielle Positionen zu verfallen. Dazu passend werden zwischen unterschiedlichen Bereichen Zusammenhänge gesehen, das Denken ist komplex und kann abstrakt sein. Dies wird auch gestützt durch neuere Gehirnstudien, bei denen festgestellt wurde, dass die Neuronen im Gehirn Hochsensibler bei Problemlösungsaufgaben komplexer feuern, d.h. mehr Hirnareale beteiligt sind und daher HS offenbar effektiver sind bei Problemlösungsaufgaben.

Kürzlich kam hierzu eine sehr guter Beitrag im Bayerischen Rundfunk in der Sendung „Radio Wissen“.

Die Folge dieser für Hochsensible spezifischen Ausprägungen in den drei Bereichen „sensorische Wahrnehmung“, „emotionale Wahrnehmung“ und „differenziertes synthetisches Denken“ ist ein Mensch, der mehr in seinem Umfeld mitbekommt, der diesem aber auch stärker ausgeliefert ist. Das differenzierte synthetische Denken kann hilfreich sein, um wieder in die „neutrale Beobachterposition“ nach schwierigen Erlebnissen zurück zu finden, manche Hochsensible neigen aber auch zum Sich-Verzetteln.

Ich halte es für jeden Menschen für hilfreich, sich möglichst realistisch zu erkennen mit den realen Möglichkeiten und den realen Grenzen zu leben, damit wir nicht unseren eigenen Bewertungen oder denen anderer Menschen aufsitzen, sondern möglichst klar unser Potenzial erkennen und nutzen lernen. Dies gilt für mich für jeden Menschen also auch für Hochsensible. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die wenigsten Hochsensiblen nach dem Verstehen ihres Andersseins mithilfe des Konzepts „Hochsensibilität“ selbst idealisieren oder als etwas „Besseres“ sehen. Vielmehr können sie lernen, sich zu entspannen und auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt falschen Ansprüchen nachzuhängen, ein anderer Mensch werden zu müssen.

Zur Feststellung von Hochsensibilität gibt es diverse Fragenkataloge bzw. Testverfahren mit unterschiedlicher Gültigkeit. Für die meisten sind Tests oft der erste Kontakt bei der Frage um die eigene Hochsensibilität. Viele Interessenten an Hochsensibilität kommen in unsere Gruppen, nachdem sie einen solchen Test durchgeführt haben. Das Treffen mit Gleichgesinnten gibt dann oft noch mehr Klarheit. Viele erleben einen regelrechten Aha-Effekt, wenn sie nach Jahren kritischer Selbstabwertung und erfolglosen Arztbesuchen endlich auf Menschen treffen, die „genauso ticken“ wie sie selbst.

Wie wirkt sich Hochsensibilität im Privatleben und im Berufsleben aus? Gibt es typische Probleme, aber auch typische Vorteile?

Ich möchte das Privatleben einmal vereinfacht in „Partnerschaft/intime Freunde“ und „Freundschaften/ Gesellschaftsleben“ unterteilen. Im intimen Kontakten ist es für Hochsensible wichtig, dass sich bereits zu Anfang darüber ausgetauscht wird, dass wir als Hochsensible „etwas anders“ ticken. Der Partner / enge Freund muss z.B. um unser Bedürfnis nach Rückzug und Stille / Regeneration wissen, damit er/ sie sich nicht persönlich zurückgewiesen fühlt. Geschieht das nicht, kann es schnell zu Spannungen und Konflikten in der Beziehung kommen.

Im weiteren Freundeskreis/ weiterern Familienkreis oder im Bereich Hobbies in Gruppen, taucht auch das „Problem“ auf, dass Hochsensible vielleicht eine sog. gesellige Veranstaltung besuchen, dann aber deutlich früher gehen als andere ihrer Altersgruppe. In diesem nicht so persönlichen Kontext führt die Erklärung der eigenen Hochsensibilität meiner Erfahrung nach oft eher zu Irritationen.

Im Berufsleben ist es mit der Offenlegung des Themas Hochsensibilität gegenüber dem Arbeitgeber m.E. am problematischsten, denn Hochsensibilität kann einem schnell als „Schwäche“ ausgelegt werden und dann würde man schon gar nicht erst über das Vorstellungsgespräch hinaus kommen. Wenn man bereits einen halbwegs sicheren Arbeitsplatz hat und es taucht ein Problem auf, z.B. plötzlich müssen alle Mitarbeiter in ein Großraumbüro umziehen, dann würde ich als Hochsensibler meine „angeborene leichtete Störanfälligkeit“ erwähnen und je nach Offenheit des Arbeitgebers evtl. auch „Hochsensibilität“ erklären.

Den Begriff selbst finde ich allerdings (wie oben schon erwähnt) etwas „unglücklich“ gewählt. Die Erfahrung zeigt, dass Arbeitnehmer mit Hochsensibilität in der Regel als „etwas merkwürdig“ angesehen wird, aber ein fairer Arbeitgeber wird sich bemühen, die Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer zu optimieren. Wenn Hochsensible auf Stellensuche sind, kann ich nur empfehlen, die Arbeitsbedingungen (z.B. Großraumbüro, Geräuschpegel, Hektik, mögliche Rückzugsräume, Reisetätigkeit etc.) bereits im Vorstellungsgespräch abzufragen. Wenn zu viele Stressoren am Arbeitsplatz sind, würde ich mich lieber weiter bewerben, denn es dankt einem hinterher keiner, wenn man eine Stelle angenommen hat, die nicht wirklich zu einem passt.

Leiden nach Ihren Erfahrungen die meisten Menschen an ihrer Hochsensibilität oder sind sie froh, hochsensibel zu sein?

Meine Erfahrung ist vielleicht nicht 100% repräsentativ, da die Menschen, die in meine Gruppen oder in mein Hochsensiblen-Coaching kommen, meist Hilfe suchen, weil sie entweder in einem ihrer Lebensbereiche Verluste/ Konflikte erleiden oder weil ihr Nervensystem aus der Balance geraten ist.

Ich gehe davon aus, dass wir Hochsensiblen tatsächlich in unserer Gesellschaft schneller ins Leiden kommen als Normalsensible, weil der Trend unserer gesellschaftlichen Entwicklung Bedingungen schafft, die oft eher destabilisierend auf Hochsensible wirken als förderlich (Stichwort: „schneller, höher, weiter, von allem mehr und intensiver und das möglichst gleichzeitig“).

Allerdings wissen die meisten Hochsensiblen auch um ihre Stärken. Ich habe auch einige wenige Hochsensible kennen gelernt, deren Hochsensibilität schon von Kindheit an gewürdigt und gefördert wurde, z.B. einige Hochsensible mit einer stark künstlerischen Veranlagung, Hier fiel mir regelmäßig auf, wie gut diese Menschen gelernt hatten, für sich zu sorgen. Wenn der künstlerische Selbstausdruck im Laufe der persönlichen Entwicklung Interessenten fand, wurde das Anderssein vom Umfeld akzeptiert und mit getragen. Das gelingt natürlich auch nicht in jedem Fall eines Künstlers.

Hochsensible müssen in der Regel noch stärker als Normalsensible daran arbeiten, ihre innere Mitte zu halten bzw. immer wieder zu ihr zurück zu finden. Ist erst einmal ein stabiles „inneres Fundament“ gegeben, sodass das Nervensystem gelernt hat, runter zu fahren und der Selbstwert stabil bleibt, dann können die Stärken Hochsensibler weiter ausgebaut werden und der Hochsensible wird in der Wahl seiner Kontakte zwar wählerischer aber früher oder später auch erfolgreich sein, sei es bei der Partnerwahl, im Gesellschaftsleben oder im Beruf. Ein Hochsensibler, der diesen Entwicklungsweg gegangen ist, strahlt auch aus der Sicht Normalsensibler trotz seines empfindlichen schwachen Nervensystems Souveränität und Stärke aus.

Wie wichtig ist für Hochsensible die Begegnung mit anderen hochsensiblen Menschen und warum ist dem so?

Für die meisten Hochsensiblen ist die erste Reaktion Erleichterung, wenn Sie auf Ihresgleichen treffen. Sie finden endlich Austauschpartner mit denen sie ihre etwas andere Wahrnehmung und ihr Erleben teilen können – und als soziale Wesen lieben wir etwas mit anderen zu teilen und natürlich auch von anderen richtig gesehen zu werden. Viele in meinen Gruppen berichten, dass sie endlich einmal offen sprechen können und jemand sie versteht.

Sie sind bereits seit über 20 Jahren in der Arbeit mit Menschen tätig, hauptsächlich in der Personalberatung und im Coaching. Was war hier Ihr Werdegang? Welche Tätigkeiten üben Sie aus? Hat dies auch etwas mit Hochsensibilität zu tun?

In den 1980er Jahren habe ich Psychologie (Diplom) studiert, weil mir die einfachen Alltagserklärungen, warum sich jemand wie verhält, nie ausgereicht haben, da kam mir zu viel Bewertung darin vor Wie „richtig“ und „falsch“ oder „gut“ und „böse“. Ich betrachte es bereits als „typisch hochsensibel“, dass ich mich mit einfachen Erklärungen und schnellen Bewertungen nicht abfinden wollte, sondern mehr „hinter die Dinge“ schauen möchte.

Anfang der 1990er Jahre verschlug es mich in die Neuen Bundesländer zum sogenannten „Aufbau Ost“ für ein Konzernunternehmen. Meine Aufgabe hatte ihren Schwerpunkt im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Ich fand es eine „einmalige Gelegenheit“, diese politisch hochspannende Zeit in Deutschland aktiv miterleben und –gestalten zu dürfen. Es wurden ostdeutsche Gesellschaften in die westdeutsche Muttergesellschaft integriert. Dies war einerseits eine Zeit lang von Euphorie geprägt, es wurde aber auch schnell klar, dass die Integration schon eher einer Übernahme entsprach, bei der am Ende die „westdeutschen Regeln“ gelten würden. In dieser empfindlichen Integrationsphase bekam ich oft die Rückmeldung, dass ich „ganz anders“ sei als die meisten westdeutschen Kollegen, die sie im Zuge der Übernahme kennenlernten, „gar nicht arrogant“, sie fühlten sich von mir gesehen und mit ihren Bedürfnissen ernst genommen. Dies fiel mir als Hochsensible vielleicht natürlich leichter als anderen, die sich selbst eher als „Sanierer“ sahen oder als „Lehrer“ (Stichwort: Besserwessi). Was mir an der Öffentlichkeitsarbeit nicht so gefiel, war dass ich mich stark „politisch“ damit „anpassen“ musste, was ich schrieb, unabhängig davon, was ich persönlich vertrat.

Mitte der 1990er Jahre wechselte ich in die Personalberatung. Ungefähr 10 Jahre verbrachte ich als Angestellte ein der Personalberatung, die meiste Zeit bei einer bekannten Unternehmensberatung. 2003 machte ich mich mit Personalberatung und Coaching als Conrath Consulting & Coaching selbständig. In der Personalberatung fiel mir auf, wie viele Menschen in einer Position oder Unternehmenskultur arbeiten, die gar nicht zu ihnen passt. Weshalb Menschen eine für sie unpassende Tätigkeit ausüben, hat oft damit zu tun, dass sie sich bisher wenig damit beschäftigt haben, was im Kern zu ihnen passt, oft haben sie sich von fremden Vorstellungen leiten lassen und sich wohlmöglich noch dafür verurteilt, dass sie der Stelle nicht gerecht werden, statt über eine Neupositionierung nachzudenken, die ihnen besser gerecht wird.

Seit einigen Jahren biete ich Beratung und Coaching auch speziell für Hochsensible an. Oft ist die berufliche Selbstfindung oder Neupositionierung der Aufhänger, z.B. „den eigenen Platz finden“, aber auch Themen wie Burnout / Ressourcenaufbau oder der Umgang mit Konflikten werden oft Thema in meinen Coachings.

Sie beraten Menschen, wie sie sich beruflich verändern und positionieren können. Wie muss man sich so eine Beratung vorstellen? Wie ist der Ablauf? Was sind Fragestellungen? Was können die Ergebnisse sein?

Bei der beruflichen Neupositionierung, bzw. dem Coaching zur beruflichen Weiterentwicklung wird zunächst einmal der bisherige Lebenslauf „ausgewertet“ und ein individuelles Profil (Alleinstellungsmerkmale) erstellt. Wir schauen gemeinsam, was die Person, die in die Beratung kommt, besonders macht, von anderen unterscheidet, jeder hat Alleinstellungsmerkmale. Oft sind es die ganz persönlichen Besonderheiten, die sich wie ein roter Faden durch das Leben eines Menschen ziehen. Hochsensibilität ist oft eine dieser möglichen Besonderheiten, die sich bei dem entsprechenden Menschen im Zusammenspiel mit anderen Besonderheiten und seinen Neigungen zu einem individuellen Könnens-Profil formen. Das individuelle Könnens- und Erfahrungs-Profil wird dann in Abgleich gebracht mit möglichen Berufsprofilen. In der Arbeit mit Hochsensiblen Coachees ist bei diesem Prozess besonders viel Kreativität gefragt, wo wir auch genau prüfen, wie mögliche Stellen mit ihren Arbeitsbedingungen zum individuellen Profil passen. Viele Hochsensible üben z.B. Teilzeittätigkeiten aus, einigen ist der freie Raum im selbständigen Arbeiten besonders wichtig. Das Ergebnis ist z.B. eine neue eigene Bewerbungsmappe, einige neue Ideen, welche Art der Berufstätigkeit zu einem passen könnte und oft ein Zuwachs an Selbstwert als Hochsensible/r, sowie die Zuversicht und Ideen, eine Berufs- und Lebensweise zu finden, bei der sich der Hochsensible nicht mehr verbiegen muss, sondern wo er / sie einen Beitrag leisten kann, der genau den eigenen Stärken und Interessen entspricht.

Welche verschiedenen Möglichkeiten des Coachings können Menschen bei Ihnen wahrnehmen? Wie können sie Kontakt zu Ihnen aufnehmen?

Impuls-Coaching

Das Impuls Coaching bietet sich für konkret umrissene Anliegen an (z.B. Vorbereitung auf ein wichtiges schwieriges Gespräch) und umfasst in der Regel 2-3 Stunden. Das Thema wird im 4-Augengespäch sondiert, Ressourcen mobilisiert und konkrete Ansätze für den direkten Einsatz im Alltag bereitgestellt.

Themen-Coaching

Im Themen-Coaching können sich Interesssenten über einen regelmäßigen Zeitraum, z.B. 1 x alle 14 Tage einen oder mehrere Themenkomplexe systematisch erschließen, z.B. Wie finde und verwirkliche ich im Beruf die eigene Berufung? Wie lerne ich ein vor Reizüberflutung geschütztes aber gleichzeitig geistig anregendes Leben zu führen? Wie lerne ich, im Kontakt mit anderen Menschen präsent zu bleiben, ohne mich selbst zu verlieren?

Ressourcen-Coaching

Das Ressourcen-Coaching ist grundsätzlich themenunabhängig. Es dient der persönlichen Stärkung, Stressreduktion und Sinnfindung in jedwedem Lebensbereich. Es kommen Methoden aus der Meditations-, Achtsamkeits- und Selbsterforschungspraxis aus westlicher und östlicher Tradition zur Anwendung, die in tiefe Entspannung führen können. Es werden entsprechende Techniken gelehrt, und wie diese in den Alltag integriert werden können.

Kontakt

Einmal habe ich eine Firmenwebpage, Mein Unternehmen heißt ⇒ Conrath Consulting & Coaching. Außerdem bin ich in ⇒ LinkedIn und ⇒ Xing mit meinem Business Profil und in ⇒ Facebook führe ich eine Seite zu Hochsensibilität (Hochsensiblen Coaching) und moderiere ein Gruppe zu Hochsensibilität (FeliXitas).

Spielt das Thema Hochsensibilität eigentlich auch für Unternehmen eine Rolle?

Bisher habe ich noch kein Unternehmen kennen gelernt, das bei Bewerbern „Hochsensibilität“ im Bewerbungsgespräch abfragt. Das liegt sicherlich im Wesentlichen daran, dass Hochsensibilität in Unternehmen noch nicht sehr bekannt ist. Zudem wird Hochsensibilität in den Medien auch immer noch viel als eine Art „Abnormität“ präsentiert. Wenn ich Hochsensibilität nicht aus eigener Erfahrung kennen würde, würde ich nach dem Tenor der meisten Medienberichte es in der Nähe von ADHS oder Autismus ansiedeln, was es natürlich überhaupt nicht trifft. Im Moment finde ich es daher fraglich, ob es wünschenswert ist, dass Hochsensibilität aus der aktuellen populären Diskussion direkt in die Personalabteilungen vordringt. Wenn wir aber das Thema einmal von der Seite beleuchten, wo hochsensible Menschen mit ihrem Potenzial in Unternehmen den Unternehmenserfolg optimieren könnten, da gibt es – je nachdem, welche anderen individuellen Eigenschaften der hochsensible Mitarbeiter noch mitbringt – einige interessante Beiträge, die Hochsensible liefern können (s. nächste Frage)

Gibt es typische Berufe oder Positionen, für die hochsensible Menschen besonders geeignet oder eher weniger geeignet sind?

Jede/r Hochsensible hat ein individuelles Profil, in dem die Hochsensibilität nur ein Merkmal ist. Wenn ich als Hochsensible/r also wissen möchte, welches Berufsbild mir vielleicht läge, ist in jedem Fall eine individuelle Betrachtung und Analyse sinnvoll. Daher finden wir Hochsensible auch in höchst unterschiedlichen Berufsbereichen.

Hier einmal einige Beispiele von Berufen, in denen die Hochsensibilität für den Stelleninhaber deutliche Vorteile für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung geboten hat (die Beispiele stammen aus meinen Gruppen oder Coachings)

  • Arbeit im Bereich Personal: Bei Personalgesprächen aller Art ist es von Vorteil, wenn wir nicht nur die Informationen vom Vorgesetzten, den Kollegen oder aus den Bewerbungsunterlagen haben, sondern wenn wir zusätzlich das feine Gespür eines Hochsensiblen zur Verfügung haben, nonverbale Informationen früher, differenzierter und schneller wahrzunehmen als es ein Normalsensibler könnte.
  • Auch bei der Polizei, sei es bei Zeugenbefragungen oder der Befragung Verdächtiger kann Hochsensibilität eine interessante Ressource sein: Auch wenn der Hochsensible die Gespräche vielleicht nicht alleine führen möchte, macht es doch Sinn, einen Hochsensiblen zu den Befragungen hinzuzuziehen.
  • In therapeutischen/ pflegerischen Berufen: Viele Hochsensible nutzen ihr empathisches Potenzial, um zu erspüren, wo sich ihr Klient gerade innerlich befindet. Als Hochsensible/r kann man z.B. auch gut erspüren, ob eine Sitzung in einem bestimmten Moment abgeschlossen werden kann oder ob es noch einer Intervention bedarf, damit der Klient die Stunde in einem „guten Zustand“ verlassen kann. Wer therapeutisch erfolgreich sein will, sollte allerdings einen Weg gefunden haben, mit dem eigenen „emotionalen Nachhall“ aus der Arbeit mit Menschen in Not zurecht zu kommen, damit er/ sie nicht ausbrennt.
  • Interessanterweise sind auch einige Hochsensible im IT-Bereich tätig. Viele IT-Stellen bieten einigen Freiraum in der Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung (z.B. Arbeiten von zuhause aus). Hochsensible, die in diesem Feld tätig sind, sind oft eher introvertierte Menschen, die gut längere Zeit konzentriert arbeiten und ohne mitmenschlichen Kontakt sein können.
  • Einige Hochsensible sind auch in kreativen Berufen tätig, einige davon arbeiten im klassisch künstlerischen Bereichen, wie als Maler, Fotograf, bildender Künstler oder als Musiker. Dies setzt natürlich eine entsprechende Begabung und das Beherrschen des entsprechenden „Handwerks“ voraus.
  • Dann gibt es auch einige Hochsensible in geistig-analytischen Bereichen, z.B. klassisch in der Forschung. Hier ist die Besonderheit im Denken von Hochsensiblen von Vorteil (s.o.).

Eher ungeeignete Berufsfelder für Hochsensible sind: Arbeitsplätze mit einem hohen sensorischen Input (z.B. dauerndem Lärm) oder mit permanentem Publikumsverkehr, wie auf Bahnhöfen, Flugplätzen im Einkaufszentrum, im Krankenhausbetrieb oder der Gastronomie. Auch Arbeitsplätze mit wechselnden Schichten oder ständiger Reisetätigkeit halte ich für eher ungeeignet für Hochsensible. Ein anderer Bereich sind noch Berufe, wo Mitarbeiter hauptsächlich mit finanziellen Anreizen oder dem Kollegenwettbewerb motiviert werden sollen und die Sinnhaftigkeit der Aufgabe eher in den Hintergrund tritt.

Ebenfalls können Klienten bei Ihnen ein spezielles Coaching für Hochsensible wahrnehmen? Wie unterscheidet sich dies beispielsweise von Potentialanalyse und Impulscoaching? Was sind Gründe, Ziele und mögliche Ergebnisse eines solchen Coaching?

Im Coaching für Hochsensible arbeite ich grundsätzlich mit den gleichen Methoden und der gleichen achtsamen Haltung wie im Coaching mit jedem anderen Menschen auch, egal, ob es um ein Impulscoaching, eine Potenzialanalyse oder z.B. um ein Ressourcen-Coaching zur Wiedererlangung der inneren Balance geht. Abgesehen von meinem beruflichen Hintergrund als Psychologin, Personalerin und Achtsamkeitslehrerein bietet das Coaching bei mir für Hochsensible den Vorteil, dass es einen verständnisvollen annehmenden Raum für Hochsensibilität gibt, weil die Hochsensibilität auch zu meinen persönlichen Merkmalen zählt. Zudem gibt es keinen Erklärungsdruck für den Klienten. Er/ sie kann davon ausgehen, dass ich einiges aus seinem/ ihren Erleben gut werde nachvollziehen können. Dann habe ich einfach über die letzten Jahre in der Arbeit mit individuell unterschiedlichen Hochsensiblen Erfahrungen gesammelt, was für Hochsensible im Coaching und zum persönlichen Lernen eher unterstützend wirkt und was eher irritierend. Meine Räumlichkeiten und mein Coaching sind darauf eingestellt.

Wie können hochsensible Menschen Lebenszufriedenheit und Glück finden? Können Sie Ratschläge geben?

  • Selbstannahme: Für Hochsensibilität gilt zunächst einmal, was für jede Besonderheit gilt, sich selbst in seinem Sosein annehmen und damit aufzuhören, sich mit andern zu vergleichen und abzuwerten. Von unserem Hund mit empfindlichen Ohren würden wir auch nicht verlangen, dass er zu Sylvester beim Geböller mit uns draußen steht sondern wir gönnen ihm seinen Platz an einem ruhigen geschützten Ort bis das Spektakel vorüber ist und wir verurteilen ihn auch nicht dafür, er mag es nun mal nicht.
  • Aktive Selbstfürsorge: Sensibilität bedarf nicht nur mehr Schutz sondern auch einer aktiven Selbstfürsorge. Georg Parlow spricht davon, dass der Körper der meisten Hochsensiblen wie bei einem Baby ist. Schauen wir doch einmal mit Liebe darauf und überlegen, was „das innere Baby“ braucht, damit es ihm gut geht, z.B. sanften Kontakt oder regelmäßige Ruhe und Entspannungspausen oder Kontakt mit der frischen Luft und den Geräuschen der Natur.
  • Regelmäßige Entspannungspraxis: Bei den meisten Hochsensiblen wird im sog. „normalen Alltagsleben“ mit Familie und/oder Beruf, regemäßig das Nervensystem überladen. Um den Burnout zu verhindern, ist es für Hochsensible hilfreich, regelmäßige Rituale zum Entspannen und Auftanken in den Alltag einzubauen. Ich selbst betreibe seit vielen Jahren Meditation, bei der das Körperspüren integriert ist. Dies führt (bei entsprechender Praxis) zum sofortigen Erden der unruhigen inneren Energien. Seit vielen Jahren teile ich diese Ressource auch mit andern Menschen, sowohl im Einzelcoaching als auch in fortlaufenden Gruppen an meinem Wohnort in Düsseldorf.
  • Sinnhaft leben/ der Intuition vertrauen: Hochsensible sollten in allen Lebensbereichen möglichst ihrem Wunsch nach Sinnerfüllung folgen. Wenn wir als Hochsensible dabei unserer Intuition vertrauen, wird sie uns wertvolle Dienste leisten, auch wenn sie uns vielleicht manchmal auf ungewöhnliche Pfade führt, deren Ziel uns noch unklar zu sein scheint.

Ich danke Ihnen sehr auch im Namen der Leserinnen und Leser von hochsensible.eu für dieses hochinteressante Interview!

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Email: info@conrathcc.com

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Lebt und arbeitet in Kambodscha. Schreibt für Hochsensible.eu und vegan.eu, bietet COACHING (Telefon, Video-Chat) zu Hochsensibilität und persönlicher Weiterentwicklung an.

3 thoughts on “Felizitas Conrath im Interview zu Hochsensibilität

  1. Hallo, mein Name ist Kerstin und jetzt erst habe ich die Gewissheit, das ich Hochsensibel bin. Hatte mich immer gewundert, warum ich als Teenie nie in die Disco ging und vieles einfach blöd fand und ich als introvertiert abgestempelt wurde. Wäre ich bei Gleichklag gut aufgehoben, wenn ich einen zu mir passenden Partner (er sollte auch Hochsensibel sein, denn dann versteht man sich besser) finden möchte? Freundliche Grüße sendet kerstin

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