Hochsensible berufliche Wege

Beruf und Hochsensibilität – wie erleben diese Thematik hochsensible Menschen?

Wir haben hochsensible Personen (HSP) befragt, welche beruflichen Lebenswege sie bei Hochsensibilität für besonders geeignet oder unpassend halten. Gefragt haben wir nach Berufsfeldern (also konkreten Berufen), Komplexität und Qualifikationsgrad der Berufe, sowie nach der strukturellen Ausrichtung der Berufstätigkeit (z.B. Selbstständigkeit, Hierarchien, Multi-Tasking etc.).

An der Umfrage beteiligten sich 358 Personen, die den Fragebogen vollständig ausfüllten und im Hochsensibilitäts-Test den Schwellenwert von 55 zur Feststellung von Hochsensibilität erreichten oder überschritten. Die Angaben von 288 hochsensiblen Frauen, 68 hochsensiblen Männern und 2 hochsensiblen Intersexuellen liegen der folgenden Ergebnisdarstellung zugrunde. Das Alter der Teilnehmenden schwankte dabei zwischen minimal 17 und maximal 76, das Durchschnittsalter lag bei 47,94.

Interessante Ergebnisse

Inhaltliche Berufsfelder

  • Alter und Geschlecht spielten keine signifikante Rolle für die gegebenen Antworten. Hochsensible Menschen gaben also vergleichbare Antworten, egal, ob es sich um Frauen, Männer, jüngere oder ältere Personen handelte. Daher können die Ergebnisse hier auch für die Gesamtstichprobe dargestellt werden und eine Differenzierung nach Alter oder Geschlecht ist nicht notwendig.

  • Die Rangfolge der am besten für Hochsensible geeigneten Berufsfelder wird angeführt von dem Bereich Musik und Kunst, den 95,5 % der Befragte für besonders geeignet hielten. An zweiter Stelle kommt bereits Psychologie, wobei hier die Zustimmung bei 87,9 % lag. Eine hohe Eignung wird ebenfalls gesehen für Geistes- und Sozialwissenschaften (82,9 %). Nach wie vor hoch – aber bereits deutlich geringer – ist die Eignung von Sprachen (71,6 %), Erziehung und Lehre (69,7 %), Land- und Forstwirtschaft (66,3 %), Sport- und Bewegung (65,4 %), Medizin und Pflege (64,9 %) und für Naturwissenschaften (64 %).

  • Dezidiert nur sehr selten als geeignet bezeichnet werden Berufsfelder, wie Verkehr und Logistik (7,3 %), Produktion und Fertigung (8,4 %), Politik (11,8 %), Büro und Sekretariat (15,3 %) sowie Versand und Handel (16 %).

  • In einem mittleren Feld werden überwiegend ebenfalls als weniger geeignet angesehen Bau und Architektur (39,3 %), Unternehmensorganisation und Management (28,7 %), Medien (26,7 %) sowie Verwaltung und Recht (21,1 %).

Deutlich wird, dass musisch-künstlerische und psychologisch-erzieherische Berufsfelder offenbar als stark geeignet für hochsensible Menschen erlebt werden. Aber auch helfende Berufe im medizinisch-pflegerischen Bereich, naturwissenschaftliche Berufe, sowie mit Bewegung und Natur zusammenhängende Berufe werden häufig als geeignet erlebt.

Anforderungen an Fachwissen und Qualifikation

  • Angelernte und Hilfstätigkeiten werden nur selten als geeignet betrachtet (24,7 %)
  • Tätigkeiten mit besonders komplexem Fachwissen (76,9 %), Spezialistenwissen (71,3 %) sowie erworbenem Fachwissen (68,3 %) werden mehrheitlich als geeignet bezeichnet.

Erkennbar wird, dass der Erwerb von Fach- und Expertenwissen und dessen Umsetzung im Beruf offenbar als für Hochsensible förderlich erlebt wird. Rein angelernte Tätigkeit ohne fundiertes Fachwissen scheinen von Hochsensiblen als eher unpassend erlebt zu werden.

Struktur von Arbeitstätigkeiten und Arbeitsplätzen

Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur dem Berufsfeld und dem Grad an Wissen und Komplexität, sondern vor allem auch der Struktur von Arbeitsplätzen und Arbeitstätigkeiten eine sehr hohe Bedeutung zukommt:

  • Von der überwältigenden Mehrheit der Befragten (90,7 %) werden Tätigkeiten, die den Umgang mit eher wenigen Menschen zur gleichen Zeit beinhalten, als förderlich erlebt.
  • Als mehrheitlich förderlich erlebt werden außerdem Arbeitsplätze mit flachen Hierarchien (77,0 %), hoher Eigenverantwortung (76,4 %) und Selbstständigkeit (75,3 %).
  • Eine erhebliche Anzahl der Befragten (61,2 %) hält auch einen Ausstieg aus typischen beruflichen Bezügen (Aussteiger) für geeignet.
  • Als besonders selten geeignet bewertet werden Tätigkeiten, die den Umgang mit vielen Menschen zur gleichen Zeit beinhalten (5,1 %), Tätigkeiten in strikten Hierarchien (8,1 %), sowie auch Multi-Tasking-Tätigkeiten (16,3 %).
  • Im Mittelfeld, aber insgesamt auch meistens als weniger geeignet bezeichnet erlebt werden Tätigkeiten als Führungskraft (37,9 %), im Haushalt (36,2 %), und als Angestellte (32,0 %).

Es lässt sich den Antworten klar entnehmen, dass offenbar Arbeitstätigkeiten, die den Umgang mit einer begrenzten Anzahl an Menschen beinhalten und mit flachen Hierarchien sowie einem hohen Ausmaß an Eigenverantwortung einhergehen, für hochsensible Menschen besonders geeignet sind. Entsprechend wird auch Selbstständigkeit oftmals als besonders geeignet genannt. Zudem erfüllt auch das Gegenmodell „Aussteigen“ durchaus die Merkmale wenige Menschen, hohe Eigenverantwortung und flache Hierarchien. Multitasking, strikte Hierarchien und Umgang mit vielen Menschen wird als ungünstig erlebt.

Qualitative Analyse

Die Teilnehmenden schrieben auch eigene freie Texte über Ihre Erfahrungen und Empfehlungen für hochsensible Menschen im Berufsleben. Aus diesen Antworten ließ sich insbesondere Folgendes entnehmen:

  • Rat, mutig zu sein, und sich für einen beruflichen Wechsel zu entschließen, wenn die beruflichen Bedingungen mit der eigenen Hochsensibilität nicht vereinbar sind
  • Empfehlung zur Selbstständigkeit
  • Ausstieg aus Multitasking-Anforderungen und Großraumbüros
  • Einbringen der eigenen Hochsensibilität, um ein besseres und sozial verträglicheres Arbeitsklima zu erreichen
  • Erwerb von Problemlöse- und Stressbewältigungsstrategien, um ein ungünstiges Arbeitsklima besser bewältigen zu können

Schlussfolgerungen

  • Hochsensibilität und Beruf sind keineswegs zwei komplett unabhängige Themenbereiche. Vielmehr beeinflussen hochsensible Erlebnisweisen die Erfahrungen und die Zufriedenheit, die Menschen im Beruf erleben.
  • Es gibt berufliche Inhalte, die für Hochsensible in der Regel besonders geeignet sind. Musisch-künstlerische, geisteswissenschaftliche, psychologische, erzieherische, medizinisch-pflegende und auch naturwissenschaftliche Berufe scheinen den Verarbeitungen hochsensibler Menschen besonders entgegenzukommen.
  • Hochsensible Menschen werden zufriedener, wenn sie sich Berufe suchen, für die Fach- oder Expertenwissen erforderlich ist.
  • Von zentraler Bedeutsamkeit scheint die Struktur von Arbeitsplätzen zu sein. Vermeidung von permanentem sozialem Trubel und ein hohes Ausmaß an Eigenverantwortung bei flachen Hierarchien sind für hochsensible Menschen besonders geeignet. Aus diesem Grund kann auch die Selbstständigkeit eine gute Option sein.
  • Wenn Tätigkeiten in Großraumbüros, bei strikten Hierarchien und Multi-Tasking-Anforderungen vorliegen, wird dies sehr oft von hochsensiblen Menschen als besonders belastend erlebt.
  • Hochsensible ermutigen andere Hochsensible, über Veränderungsmöglichkeiten nachzudenken und sich ein Berufsfeld, eine Qualifikation und eine Arbeitsstruktur zu suchen, die ihren hochsensiblen Erlebnisweisen entspricht.
  • Wenn es einzelnen Menschen mit Hochsensibilität möglich ist, kann auch ein Ausstieg aus typischen beruflichen Bezügen als positiv erlebt werden, wobei aber Haushaltstätigkeiten mehrheitlich als nicht befriedigend erlebt werden.
  • Sind Veränderungen von Berufsfeld und Struktur des Arbeitsplatzes in einzelnen Fällen nicht möglich oder werden nicht erwünscht, raten hochsensible Menschen anderen Hochsensiblen, sich Problemlöse- und Abgrenzungsstrategien anzueignen, die ihnen eine bessere Bewältigung auch von Tätigkeiten und Strukturen ermöglichen, die eigentlich für Hochsensible weniger geeignet sind.

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Lebt und arbeitet in Kambodscha. Schreibt für Hochsensible.eu und vegan.eu, bietet COACHING (Telefon, Video-Chat) zu Hochsensibilität und persönlicher Weiterentwicklung an.

6 thoughts on “Hochsensible berufliche Wege

  1. Lieber Herr Gebauer,
    vielen Dank für Ihre interessante und wichtige Studie, an welcher ich auch teilgenommen habe und durch die ich mich wiederum bestätigt fühlen darf.
    Nun würde mich noch interessieren, welche Problemlöse – und Abgrenzungsstrategien denn empfohlen werden, bzw. wie man sie sich aneignen kann.
    Gibt es dazu hilfreiche Tipps?
    (ich befinde mich nämlich zur Zeit gerade in einem beruflichen Dilemma; zwar in einem erzieherisch-spirituellen Kontext überschaubarer Größe, jedoch sind die Hierarchien leider ganz und gar nicht so flach, wie sie sein sollten…)
    Mit herzlichen Grüßen
    M. Hilgers (w)

    1. Guten Tag M.Hilgers, ich habe eine Ausbildung bei Kutschera.org gemacht, bevor ich wusste das ich hochsensibel bin und damit habe ich allerhand Werkzeug erhalten und Möglichkeiten entdeckt, um mich abgenzen zu lernen. Diese Ausbildung unterscheidet sich von anderen, weil sie auf allen Ebenen arbeitet. Es gibt in München und Hamburg sehr gute Trainerinnen die diese Ausbildungen in Deutschland anbieten. Das ist die beste Entscheidung m meines Lebens gewesen! Herzlichst Stefanie Kunter

  2. Lieber Herr Gebauer, vielen Dank für die Auswertung, die für mich sehr interessant ist. Multitasking ist für mich manchmal problemlos möglich, manchmal überhaupt nicht. Deshalb sind nach meiner Erfahrung auch strikt lineare Tipps, wie man sein Leben gestalten soll, nicht hilfreich. Tätig bin ich im Bereich Bildung, aber als selbstständige Dozentin für Kinder und Erwachsene. So habe ich nur mit kleinen Gruppen, meist Einzelpersonen zu tun. Das passt. Vielleicht kann ich ja auch Michaela Hilgers diesbezüglich Tipps geben. Auf alle Fälle danke, dass es diese Seite überhaupt gibt. Herzliche Grüße Angelika Dörre

  3. Ich stimme vielem aus dem Artikel zu und möchte noch schnell sagen, dass ich glücklich als Assistenz in einem kleinen Unternehmen, mit flachen Hierarchien bin, denn auch hier kann ich all meine Kreativität (welche auch im schriftlichen und künstlerischen Arbeiten mit allerhand Material) liegen, vereinen. Ich habe Verantwortung und viel Freiheit. Die Werte des Unternehmens stimmen mit meinen überein und damit ist alles möglich. Wer das Buch von Silvia Harke – wenn Frauen zu viel fühlen kennt, weiß vielleicht das eine hochsensieble Person mit vielen Talenten ausgestattet sein kann.
    Herzlichst
    Stefanie Kunter

  4. Moin,
    auch ich finde mich in dem Artikel durchaus wieder. Bin gerade dabei meine HSP zu entdecken und finde viele Zusammenhänge zwischen der Thematik und meinem bisherigen Werdegang…
    Ich muss sagen, dass ich mittlerweile als Ergotherapeutin meine Berufung gefunden habe und in diesem Beruf sowohl künstlerisch/kreative Ansätze verfolge als auch soziale bzw. pädagogische und natürlich auch medizinische…Im Grunde also der Topberuf für HSPler ;). Auch ist die Hierarchie sehr flach, ich habe eine Chefin, in der Praxis, der ich auf Augenhöhe begegnen kann und die mich auch als Heilpraktikerin auf die Idee gebracht hat, dass vieles aus meiner Biografie sich durch Hochsensibilität erklären lässt bzw. es in meiner Biografie auch ein konkreter Auslöser (vorgeburtliches Trauma, Verlust eines Zwillings) besteht.
    Ich muss auch sagen, dass mir die therapeutische Ausbildung sehr geholfen hat, auch ohne das Wissen um die HSP, mich im Berufsalltag gut abzugrenzen, hier gab es viel Werkzeug durch Supervisionen etc…
    Liebe Grüße

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