Hochsensibilität: eine Frage des Geschlechts?

Hochsensibilität, weiblich und männlich

Hochsensibilität kommt bei beiden Geschlechtern vor. Andererseits ist es gut bekannt, dass bei Frauen im Durchschnitt oftmals Verarbeitungs- und Erlebnisweisen, wie Empathie, stärker entwickelt sind als bei Männern.

  • Frauen neigen auch beispielsweise weniger zu Gewaltkriminalität. Sie wählen seltener rechtsextreme oder rechtsextremistische Parteien. Sie setzen sich öfter für Tierschutz ein, Leben häufiger vegetarisch oder vegan.

Vieles spricht vor diesem Hintergrund dafür, dass Hochsensibilität bei Frauen öfter vorkommt als bei Männern. Aber was sagen die Daten?

  • bei unserem Hochsensibilitäts-Test (HSP-Test) stellen wir fest, dass zwei Drittel der Teilnehmenden Frauen sind, ein Drittel Männer.
  • Menschen finden diesen Test, indem sie im Internet nach Hochsensibilität suchen. Insbesondere solche Menschen, die tatsächlich selbst hochsensibel sind, führen derartige Internet-Suchen durch.
  • allein die Sachlage, dass sehr viel mehr Frauen als Männer unseren Hochsensibilitäts-Test finden und ihn ausfüllen, spricht insofern bereits dafür, dass Hochsensibilität bei Frauen wahrscheinlich häufiger vertreten ist als bei Männern.

Die große Mehrheit der Teilnehmenden des Tests ist selbst hochsensibel. Dies ist nicht erstaunlich, da die Motivation für den Test oft bereits aus einem Interesse resultiert, welches durch die eigene Hochsensibilität bedingt ist. Es ist also eine selektive Stichprobe, die den Test ausfüllt, relativ wenige Menschen, die nicht hochsensibel sind, interessieren sich für den Test.

Trotzdem finden wir auch bezüglich des Testergebnisses deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männer:

  • 83 % der Männer, die den Test ausfüllen, zeigen sich als hochsensibel. Bei den Frauen ist dieser Prozentsatz signifikant höher und beträgt 94 %.
  • auch bei den Mitgliedern unserer Gleichklang-Community stellen wir Unterschiede in der Häufigkeit von Hochsensibilität zwischen Männern und Frauen fest:
  • 38 % unserer weiblichen Mitglieder sind hochsensibel, bei den männlichen Mitglieder beträgt dieser Prozentsatz lediglich 30 %.

Ebenso wie die Testteilnehmenden sind auch die Mitglieder der Gleichklang-Community nicht repräsentativ:

  • zu Gleichklang finden vermehrt hochsensible Menschen, da Gleichklang von seinem Konzept und seiner Vermittlung besonders solche Menschen anspricht, die hochsensibel sind. Genau dies erklärt auch die hohen Aussichten für hochsensible Menschen, bei Gleichklang wirklich tief greifende und dauerhafte Freundschaften oder eine lebenslange Partnerschaft zu finden.

Insofern sind die Zahlen also wirklich nicht repräsentativ. Umso mehr fällt aber ins Gewicht, dass selbst dann, wenn spezifisch Hochsensible angesprochen werden, mehr Frauen als Männer anzutreffen.

Interessanterweise findet sich aber kein Unterschied in den Testergebnissen zwischen denjenigen Frauen und Männern, die tatsächlich hochsensibel sind:

  • Hochsensible Männer und hochsensible Frauen zeigten identische Testergebnisse. Es ist nicht so, dass hochsensible Frauen noch hochsensibler sind als hochsensible Männer, was durchaus statistisch möglich wäre. Es gibt insofern zwar seltener hochsensible Männer als hochsensible Frauen, wenn jedoch Hochsensibilität vorliegt, handelt es sich um das gleiche Merkmal.

Gesellschaftliche Veränderungen?

Diese Ergebnisse bedeuten übrigens keineswegs, dass Hochsensibilität für alle Zeiten bei Frauen häufiger vorkommen muss als bei Männern. So zeigen psychologische Studien, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Persönlichkeit-Merkmalen und Fähigkeiten über die letzten Jahrzehnte systematisch abgenommen haben.

Die egalitäre Erziehung, die größere Geschlechter-Fairness und der tolerantere, androgynere Charakter der Gesellschaft führt zu einer Annäherung zwischen den Geschlechtern.

Die Hoffnung ist insofern begründet, dass es mit zunehmender Akzeptanz von Hochsensibilität und verstärkter Ausrichtung von Erziehung und Umgang miteinander auf Empathie, Weichheit und Achtsamkeit mehr hochsensible Menschen, mehr hochsensible Männer und weniger Unterschiede im Hinblick auf die Empfindsamkeit zwischen den Geschlechtern geben wird.

Stress und Überforderung-Erleben können Nebenfolgen von Hochsensibilität sein. Wird Hochsensibilität aber als solche erkannt, gesellschaftlich wertgeschätzt und das eigene Leben an ihr ausgerichtet, können erhöhte Zufriedenheit und mehr Friedfertigkeit im zwischenmenschlichen Umgang resultieren.

Männer, die dem typischen Macho-Bild entsprechen, sind dezidiert nicht hochsensibel. Es gibt von diesen noch zu viele, was sicherlich mit erklärt, warum wir mehr hochsensible Frauen als Männer haben.

Je mehr das Macho-Bild im gesellschaftlichen Bewusstsein verblasst, desto größer wird aber die Zahl hochsensibler Männer werden – eine gute Nachricht für die Männer, die Frauen und uns alle.

Hochsensibilität: ein weibliches Prinzip?

Hochsensibilität kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Gemäß dem traditionellen Macho-Denken wird zudem Hochsensibilität bei Frauen sicher eher akzeptiert als bei Männern. Insofern könnte man durchaus sagen, dass Hochsensibilitaet einem weiblichen Prinzip entspricht.

Ich glaube aber, es ist gar nicht nötig, diese klare geschlechtstypische Festlegung zu treffen. Weiblich und männlich verändern sich mit der Veränderung der Gesellschaft. Hochsensibilität wird bei Männern gesellschaftlich nach wie vor weniger zugelassen als bei Frauen. Dies ist vermutlich der Grund für die geringere Häufigkeit von Hochsensibilität bei Männern.

Insofern macht es nach meiner Einschätzung mehr Sinn, nicht von einem weiblichen, sondern von einem hochsensiblen Prinzip zu sprechen, welches bei Frauen derzeit noch häufiger vorkommt als bei Männern.

Hochsensible Männer sind nicht notwendigerweise weiblicher. Nicht-hochsensible Frauen sind nicht notwendigerweise männlicher. Vielmehr sind hochsensible Männer einfach nur hochsensibler und nicht hochsensible Frauen einfach nur weniger hochsensibel.

Je mehr wir es gesellschaftlich zulassen, Hochsensibilität allen Geschlechtern zuzugestehen, desto geringer werden die Geschlechter-Unterschiede werden.

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Lebt und arbeitet in Kambodscha. Schreibt für Hochsensible.eu und vegan.eu, bietet COACHING (Telefon, Video-Chat) zu Hochsensibilität und persönlicher Weiterentwicklung an.

11 thoughts on “Hochsensibilität: eine Frage des Geschlechts?

  1. Eher eine Frage, als ein Kommentar: Hochsensibilität ist eine Veranlagung- also angeboren und nicht anerzogen. Macho-Gehabe und gesellschaftliche Bevorzugung von typisch männlichen Eigenschaften, sind antrainierte/anerzogene Verhaltensmuster. Wenn ein Mann hochsensibel geboren wird und seine Umgebung die damit einhergehenden Merkmale nicht akzeptiert, versucht er anders zu sein. Das führt zu großem Stress- körperlich und seelisch.
    Dieser Mann wird sich sicherlich nie wirklich den Verhaltensmustern seiner Umgebung anpassen können.
    Würde er nicht ebenso im Internet nach Hilfe suchen und ggfs. auf dieser Seite landen? Und – viel interessanter: gibt es vielleicht unter Menschen mit Burn-our mehr hochsensible Männer als Frauen?

    1. Die Aussage „Hochsensibilität ist angeboren“ ist mir zu stark. Tatsächlich gibt es in der Persönlichkeitspsychologie nicht ein Merkmal, welches wirklich angeboren ist, also zu 100% erblich. Es ist immer eine Interaktion zwischen Umwelt und Anlage, alles andere sind Vereinfachungen, die in Wirklichkeit nicht durch Belege gesichert sind. Es gibt keine Untersuchungen zur geschlechtsspezifischen Verteilung von Menschen mit Hochsensibilität unter Personen mit Burnout. Aber es wäre sicher eine interessante Fragestellung.

      1. Ich denke es ist schon angeboren, die Frage ist, wie es sich anschließend entwickelt. Hochsensibel bedeutet ja auch z.B. dass man evtl. stärker auf Geräusche und Gerüche reagiert. Bspw . hat mein Sohn bei lauten Geräuschen als Baby immer geweint, war das Geräusch weg, war er sofort ruhig, als er älter wurde hat er gesagt, wenn es ihm zu laut war. Mittlerweile ist er 8 und hat kaum noch Probleme mit der Lautstärke, andere Dinge der Hochsensibilität hat er aber noch. Im Übrigen bin ich auch hochsensibel, auch von klein auf, meine Schwestern aber nicht. Es gibt ja auch Nachweise, dass das Gehirn von Hochsensiblen anders arbeitet als bei nicht Hochsensiblen. Die Frage ist nur, wie lernt man damit umzugehen.

  2. „Männer, die dem typischen Macho-Bild entsprechen, sind dezidiert nicht hochsensibel.“
    Ich selbst sehe mich als hochsensiblen Mann und kenne andere Männer, die ich als hochsensibel einschätzen würde.
    Dabei sehe ich bei einigen „Macho-Eigenschaften“, z.B. offensives, aggressives Verhalten, Arroganz, Narzissmus, Wettkampf/Konkurrenz-Attitüde, teilw. Frauenverachtung und Jähzorn. (Macho hier eher als Aufhänger, mir geht es nicht um eine Definition des Begriffes). Macho-Verhalten ist dabei für mich eine Maske, die eigene (Selbstwahrnehmung) Schwächen überdeckt.
    Gerade weil es hochsensiblen Männern schwerer fällt, eine „normale“ männliche Rolle zu entfalten, sehe ich hier häufig eine besonders starke Maske – verbunden mit einem eigenen Unglücklichsein und negativen Folgen für das soziale Umfeld.
    Da die Maske Teil der eigenen Identität ist/wird, würden diese Männer wahrscheinlich auch weniger auf die Idee kommen, sich mit Hochsensibilität auseinanderzusetzen. Grundsätzlich halte ich das Spannungsfeld Hochsensibilität und (soziales) Geschlecht für ein sehr Interessantes Feld und bin an weiteren Ausführungen interessiert.

    1. Vielen Dank für die Anmerkung. Grundsätzlich sehen wir in den Daten, dass Männer, die sich im HSP-Test als hochsensibel schildern, seltener aggressive Eigenschaften und Einstellungen angeben. Wichtig ist dabei, Hochsensibilität nciht mit Reizbarkeit zu verwechseln. Trotzdem ist es sicher richtig, dass in Einzelfällen womöglich Hochsensibilität auch aggressiv und machohaft kompensiert werden mag.

    2. Ich finde den Beitrag sehr gut. Als HSP kann man ja durchaus hinter Masken schauen. Oft erlebe ich bei diesen Machotypen, dass es nur eine Fassade ist und dahinter jemand ganz anderes steckt oder manchmal höre, fühle ich (unabsichtlich) in das Leid hinein, dass diese Person unterdrückt und nach außen projiziert, weil sie es selbst nicht mehr wahrnimmt. Das ist soo schade und traurig und oft auch unerträglich. Wieviel Potenzial geht verloren und wie einseitig ist das? Das Thema Sichtbarkeit ist ein so wichtiges Thema für Männer. Sichtbarkeit nicht als Egospiel und Selbstüberhöhung sondern Ausdruck von Begegnung und Öffnung. Dann muss nicht mehr alles Weibliche unsichtbar gemacht und unterdrückt werden.. im Inneren sowie im Außen. Aber letztlich kann nur jeder bei sich selbst anfangen und die eigene Maske erkennen. Je mehr Menschen das tun, desto so gesünder kann auch die Welt werden. 🙂

      1. Ja, Offenheit gegenüber sich selbst und anderen, Authentizitiät in allen Bezügen, kann uns individuell und gesellschaftlich weiterbringen. Dabei leben wir leider in einer Welt, in der zum großen Teil das Gegenteil praktiziert wird.

  3. Ich glaube, im Text ist ein „freudscher“ Verschreiber: Hochsensible Männer sind notwendigerweise weiblicher, heißt es, aber soll wohl heißen: … nicht notwendigerweise weiblicher. Oder? Aus meiner Sicht als hochsensibler Mann sind aber die weiblichen Anteile tatsächlich höher, was es durchaus erschwert, von Frauen als mehr als nur ein Freund akzeptiert zu werden.

  4. Ich glaube auch, dass es zumindest eine genetische Komponente gibt.
    Ich kenne es aus meiner Familie.
    Mein Neffe (Sohn vom Bruder), der eine andere genetische Mutter hat, scheint auch diese Neigung zu haben.

Kommentar verfassen